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Beitrag vom 20.02.2005
Julia Jentsch und Alexander Held im Interview
Anja Kesting
"Sophie Scholl – Die letzten Tage" ist das sensible Porträt einer 21-jährigen, lebensfrohen Studentin, die für die Idee der "Weißen Rose" zum Tode verurteilt wurde.
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© Fotos: Jürgen Olczyk |
Der Film schildert die letzten sechs Tage (17.-22. Februar 1943) im Leben von Sophie Scholl aus ihrer persönlichen Perspektive. Durch ihr Aufbegehren gegen den
Nationalsozialismus wurden Sophie Scholl, Hans Scholl, Christoph Probst und alle anderen Mitglieder der
Widerstandsgruppe zum Inbegriff für Zivilcourage, für einen friedlichen Kampf gegen Gewaltherrschaft und Unterdrückung.
"Sophie Scholl - Die letzten Tage" – ging als
deutscher Wettbewerbsbeitrag bei den
55. Internationalen Filmfestspiele Berlin ins Rennen und wurde von der Jury mit
zwei silbernen Bären ausgezeichnet: Julia Jentsch (27) erhielt den begehrten Preis als beste Hauptdarstellerin und Marc Rothemund für die beste Regie.
AVIVA-Berlin sprach im Vorfeld mit den beiden HauptdarstellerInnen Julia Jentsch und Alexander Held.
AVIVA-Berlin: Sophie Scholl und Robert Mohr sind keine Figuren, die man so einfach nach dem Drehen ablegen/abschütteln kann. Wie weit verfolgen sie einen in das Privatleben?
Julia Jentsch: Bei mir war die Vorbereitungszeit sehr knapp und der Drehzeitraum sehr eng, da blieb mir gar nichts anderes übrig, als mich voll und ganz auf die Rolle zu konzentrieren.
Es war für mich eine sehr intensive Zeit, in der es nur darum ging, die Geschichte zu verstehen und die Aktionen und Gedanken von Sophie Scholl für mich nachvollziehbar zu machen. Wenn ein Drehtag zu Ende war, begann schon wieder die Vorbereitung für den nächsten. Ich habe mich zwar in jeder auch freien Minute
mit dem Film beschäftigt, aber es ging nicht soweit, dass mich Sophie in meinen Träumen verfolgt hat.
Alexander Held: Ganz im Gegensatz zu mir. Was mich heute noch verfolgt, ist das Rauchen
(Alexander Held hatte sich sechs Monate vor Drehbeginn das Rauchen abgewöhnt, dadurch ein paar Pfund zugenommen und war zu dick für die Rolle des magenkranken Robert Mohr. Für den Film hat er wieder mit dem Rauchen angefangen. Anm. d. Red.) Während der Dreharbeiten das Gewissen dieses Mannes. Sobald man versucht, einzutauchen in seine Schizophrenie, in seine Verdrängungsmaschinerie, lässt einen diese Figur nicht mehr los. Er meint, auf der Basis des Gesetzes seine Pflicht tun zu müssen – und andererseits ist ihm sehr wohl bewusst, dass dieses Gesetz auf verbrecherischen Säulen ruht. Im Glauben, seine Pflicht zu tun, ist er im Stande, sein Gewissen auszuschalten.
AVIVA-Berlin: Die Verhörszenen haben für die Betrachterin eine besondere Spannung. Um diese Psychoduelle ein zu zustudieren, ist es da von Vorteil, dass Sie auch viel Theater gespielt habt, also auf diese Erfahrungen zurückgreifen könnt und euch vorher kennengelernt habt?
Julia Jentsch: Die langen Dialoge/Gesprächen sind schon eine besondere Situation, deshalb war es uns beiden sehr wichtig, uns vorher zu treffen, sich kennenzulernen, die Texte gemeinsam einzustudieren. Damit wir während des Drehens uns voll auf die Rollen konzentrieren können
und nicht durch Textlücken gebremst werden. Schwer zu sagen, ob das Theaterspielen mir geholfen hat.
Alexander Held: Es ist sehr wichtig, dass wir dass vorher gemacht haben, auch für uns selbst - mal zu beobachten, wie der andere agiert. Es war eine echte Teamarbeit, geprägt von dem Bemühen, zusammen die beste Lösung zu finden. Wir haben bestimmte Dinge erarbeitet, die wir später Marc Rothemund (Regisseur) vorgeschlagen haben.
AVIVA-Berlin: Wofür steht Sophie Scholl?
Julia Jentsch: Sie ist ein Beispiel dafür, wieviel Kraft und Stärke ein Mensch hat, der sich gegen Unterdrückung, gegen eine Diktator zur Wehr setzt, in der es keine Meinungsfreiheit gibt. Dabei verliert sie nie ihre Würde und bewahrt sich ihre Ideale. Ihr Kampf endet mit ihrer Hinrichtung, aber ich finde es trotzdem hoffnungsvoll. Der Film zeigt Menschen, die sehr wertvoll in ihren Eigenschaften sind. Ihre Geschichte gibt Impulse für Mut und Zivilcourage, die heute umso mehr gefragt sind. Man kann selbst täglich mit Situationen konfrontiert werden und dann vor der Entscheidung stehen: Ist mir jetzt das Leben und die Rettung des anderer wichtiger als mein eigenes?
AVIVA-Berlin: Sophie wächst unter dem Druck der Verhöre mit ihrer Aufgabe. Woher hat sie ihre Kraft und Sicherheit?
Julia Jentsch: Ich denke, das hat mit ihrer Erziehung und Familie zu tun. Ihre Eltern sind sehr kritisch gegenüber Hitler eingestellt. Sie haben versucht, ihre Kinder zu selbständigen und kritischen Menschen zu erziehen. "Allen Gewalten zu Trotz sich erhalten" hat der Vater immer gesagt, das bringt es ziemlich auf den Punkt: sich nicht anpassen, nicht mitzulaufen.
Dann durch ihren Freundeskreis, dort tauschten sich Sophie Scholl und Hans aus, erarbeiteten gemeinsame Ideen und Ziele und hatten Vorstellungen, wie die Welt nach dem Krieg aussehen könnte.
Sie hat auch Kraft aus ihrem Glauben geschöpft, zu dem sie gefunden hat. Insbesondere in der letzten Zeit war ihr das sehr wichtig. Dadurch war sie ihrer Mutter inniger verbunden, weil sie schon lange sehr gläubig war. Sophies religiöser Glaube an Gott ist sehr eng mit bestimmten Ideale und Gedanken verknüpft: Menschlichkeit, Mitgefühl, Verantwortungsbewußtseins und Gerechtigkeit.
AVIVA-Berlin: Gibt es in der heutigen Zeit Menschen, wie die Mitglieder der "weißen Rose", die Stärke zeigen, Ideale haben und dafür auch eintreten?
Julia Jentsch: Ich habe das Gefühl, dass es der heutigen Bevölkerung daran fehlt. Sie wissen nicht, woran sie glauben sollen. Sie sind auf der Suche nach etwas, was ihrem Leben Halt gibt. Anderseits bedeutet es auch nicht, dass, wenn man gläubig ist, auch entsprechend handelt, also einschreitet, wenn jemand ein Unrecht geschieht. Denn „unter Hitler“ waren die Menschen gläubiger als heute.
Ich denke, dass es jedem eine große Kraft geben kann, wenn er etwas im Leben hat,
woran er glaubt. Das muß nicht eine Religion sein, sondern das Wissen, was für ihn sein Leben ausmacht, was ihn glücklich macht. Und wenn jemand nur glücklich sein kann, wenn es allen gut geht, dann resultiert daraus auch ein bestimmtes Verhalten.
Sophie Scholl stellt ihr Gewissen gegen das Gesetz: Worauf beruft man sich letztendlich: Soll man, weil ein Gesetz gegen die Menschlichkeit erlassen wird, gegen sein Gewissen handeln?
AVIVA-Berlin: Sind Sie auch eine Rebellin, wie Ihre Filmheldinnen?
Julia Jentsch: Sophie Scholl und Jule (die fetten Jahre sind vorbei) sind auf jeden Fall Rollen, die einen nachdenken lassen. Alles, mit dem ich mich beschäftigte, veränderte mich, nicht besonders merkbar nach außen: Ich bin nicht einer politischen Organisation beigetreten, dazu ist es doch zu sehr der Beruf und der Wunsch im Beruf, viele verschiedenen Charaktere und Rollen zu spielen. Mit solchen rebellischen Rollen beschäftigte ich mich besonders gern, finde sie spannend und sie bewirken in mir, darüber nachzudenken, wie ich gehandelt hätte.
AVIVA-Berlin: Und woran hängt Ihr Herz mehr: Am Theater oder am Film?
Ich finde, dass sich das beides ergänzt. Falls es mal kollidieren sollte, dann ist mein Herz projekt- oder geschichtsgebunden. Am Theater gab es auch Stücke, die ich nicht so interessant fand, die Arbeiten waren dementsprechend auch nicht spannend. Und wiederum andere, die waren für mich ganz wichtig, die haben mir wieder eine neue Sicht aufs Theater und neue Erfahrungen gebracht.
Es wäre nicht grundsätzlich das Medium, das ausschlaggebend ist, sondern die Menschen, mit denen ich zusammenarbeitete und der Film oder das Stück.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank fürs Interview